Pressespiegel – FAS 2014-12-28

HP Velotechnik in the news: the following text is an excerpt from the German newspaper Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, issue 28.12.2014. We recommend to order the complete magazine from the publishing house to read the whole story.

Glücklich auf drei Rädern

Was ist der Ahnherr aller Autos? Der Patentmotorwagen von Carl Benz – ein Dreirad. Eine Reise mit dem E-Motor-Trike zu dem Technikhistoriker Hans-Erhard Lessing.

Von Hans-Heinrich Pardey

Ein Erwachsener, der Dreirad fährt, hat es hin und wieder nicht ganz leicht: Entweder er liegt mehr auf seinem Gefährt, als dass er säße, und das gerade mal eine Handbreit über der Fahrbahn. Dann ist er offensichtlich einer dieser Spinner, die es geradezu darauf anlegen überfahren zu werden und die man am besten hupend an den Bordstein scheucht. Oder der Dreirädrige düst mit flottem Tempo durch dieGegend, sitzt dabei aber ganz entspannt und erkennbar bequem in einem luftigen Sessel mit bestem überblick. Dann ist er wahrscheinlich behindert; man darf ihn ungeniert anstarren und sich nach dem “komischen Rollstuhl” erkundigen.

Mit solchen Reaktionen muss rechnen, wer ein Trike wie den Scorpion von HP Velotechnik bewegt, und zwar in direkter Abhängigkeit von dem Typ Scorpion, den man fährt. Bis zu diesem Herbst haben die Liegerad-Bauer aus Kriftel, die ihre Fahrzeuge erfolgreich bis in die Vereinigten Staaten, nach Japan und Australien liefern, vor allem auf Sportlichkeit gesetzt. Aber die Kundschaft wünschte sich den Scorpion höher, breiter und komfortabler: Und so kam zur Eurobike mit dem Scorpion plus 20 und plus 26 etwas heraus, das irgendwie an den Golf Plus erinnert. (Die beiden Varianten plus 20 und plus 26 geben die Größe des angetriebenen Hinterrades in Zoll an.)

Jeweils ungefähr zehn Zentimeter mehr Höhe und Breite beträgt das Plus, das schon beim Draufsetzen als Komfortsteigerung wahrnehmbar wird. Es wurde aber nicht einfach die bisherige Geometrie des Rahmens skaliert, sondern eine neue, wiederum faltbare entwickelt. Es sieht so aus, als sitze man weiter vorn, tatsächlich aber ist das Gegenteil richtig, auch wenn die Vorderkante des Sitzes sich über dem Querträger des Rahmens befindet. Man sitzt zwar höher, aber die Kippstabilität des Dreirads wurde deutlich verbessert, weil sich der Sitz, auf den Gesamtrahmen bezogen, weiter hinten befindet. Noch ein Plus der neuen Geometrie: Es passen auf dieses Scorpion Menschen zwischen 1,49 und 2 Meter Länge.

Im 26-Zoll-Rad hinter dem Sitz befand sich auf der Reise von Wetzlar nach Koblenz der Go-Swiss-Nabenmotor. Und das war gut so. Statt den Lahntal-Radweg entlang ging die Tour über die Hügel von Hintertaunus und Westerwald. Ein Pedelec mit drei Rädern ist noch einmal etwas ganz anderes als ein einspuriges Elektrorad. Die niedrige Stirnfläche schont den Energievorrat, auch wenn man wirklich flott unterwegs ist. Beim Ampelstopp muss nicht das Gewicht des Rades und des Gepäcks abgestützt werden. Während der Fahrt zu fotografieren – gar kein Problem. Nebenbei: Das Gepäck fährt vollgefedert mit, und es dürfen links und rechts vom Hinterbau des Scorpion Plus stattliche 50 Kilogramm sein. Dank des Motors verschwindet, was manchem das Liegerad verleidet hat: die fehlende Performance an Steigungen.

Das Vorfahren in Koblenz bei Hans-Erhard Lessing genau gegenüber der Festung Ehrenbreitstein gestaltet sich mal wieder zu einer Szene nach dem Muster “Guck mal, der Rollstuhl”. Die Runde im Straßencaféerstummt und glotzt, um sich dann darüber zu ereifern, dass dieses Ding sogar rückwärts fahren kann. Eine sehr praktische Sache beim Rangieren und Parken, die auf Knopfdruck am Bedienteil des Antriebs funktioniert. Schritttempo rückwärts wirkt ganz schön zackig. Aber dank Taste entfällt das Abstoßen mit den Füßen wie auf anderen Trikes beim Zurücksetzen.

Lessing kommt herunter auf die Straße und bestaunt die Sonderausrüstung des Scorpion. Da gibt es einen Halter für die Gehhilfe, der selbsttätig nach der Krücke schnappt. Die Pedale halten jeden Schuh ohne Cleats sicher fest, auch wenn das Bein unkontrollierte Bewegungen machen sollte. Fest mit dem Pedal verbunden zu sein ist auf einem Dreirad keineswegs unsicher, sondern effektiv und angenehm: Umfallen im Stand kann man ja nicht. Und die Armauflagen am Lenker: Da braucht man gar keine Handicaps zu haben, um die beim Fahren höchst wohltuend zu empfinden. Noch ein Vorteil solch eines Sesseldreirads: Die Handgelenke müssen nicht das Gewicht des Oberkörpers mittragen.

Später im Gespräch mit dem Technikhistoriker und Drais-Biographen (“Automobilität”. Karl Drais und die unglaublichen Anfänge, Leipzig 2003) zeigt Lessing anhand seines neuesten Buchs, welche Vielfalt an Dreirädern in den 1880er Jahren entwickelt wurde. Wenn man es nicht als Reproduktion von Hersteller-Prospekten in der mit dem Briten Tony Hadland verfassten Geschichte der Fahrradtechnik von 1817 bis heute sehen könnte, würde man so etwas wie den Coventry Rotary von Rudge einfach nicht glauben: ein knapp brusthohes, angetriebenes Laufrad links von Sattel und Pedalantrieb und rechts zwei wesentlich kleinere gelenkte Räder. Konstruktionen wie diese wurden als Lastenräder konzipiert. Sie zu motorisieren lag nahe. Ein Elektrodreirad kam schon 1888 von Starley.

Dass der – vor allem in Großbritannien – nebeneinanderher wuselnde Erfindungsreichtum dieser Jahre in Deutschland unterschlagen wurde, ist für Lessing das Werk nationalsozialistischer Propaganda. Das Auto sollte die einsame Schöpfung eines deutschen Genies sein und nicht von britischen Trikes abstammen. Deren Blüte verkümmerte allmählich in dem Maße wie einspurige, niedrige Fahrräder entwickelt wurden. Die boten, was bis dahin als der Hauptvorzug der Dreiräder gegolten hatte: Sicherheit gegen die Kopfstürze der Hochradfahrer. Vor allem aber waren sie leichter und billiger zu produzieren.

Auch heute ist das Dreirad nach dem Stand der Technik kein billiges Fahrzeug, und kann es nicht sein. Das Scorpion hat ein aufwendiges Fahrwerk mit McPherson-Federbeinen und Querstabilisator vorn und gefederter Hinterrad-Schwinge. Es entsteht in Einzelmontage ganz nach Kundenwunsch. Der Konfigurator im Netz steht an Vielfalt dem eines Autos kaum nach. Mit Motor und einigen Optionen bewegt sich der Preis für ein Scorpion plus 26 von HP Velotechnik um die 7000-Euro-Marke.

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