Press room – Trekkingbike 2014-04
We recommend to order the complete magazine from the publishing house to read the whole story.

 

Ziemlich Beste Freunde

Im Irgendwo des Rhein-Main-Gebiets basteln zwei Freunde an Fahrrädern. So, wie es Jungs eben machen. Doch dann gewinnen sie einen Konstrukteurs-Wettbewerb – und gründen ein Unternehmen, das die Welt mit Spezialrädern versorgt.

Text und Fotos Jörg Spaniol

“Vielleicht sollten wir die Märkte auf der Südhalbkugel besser erschließe”, sagt Paul Hollants, “dann könnten wir die saisonalen Spitzen etwas wegbügeln.” Es ist noch fast Winter, und in den revolvermäßig drehbaren Montageständern von HP Velotechnik klemmen die kreuzförmigen Fahrwerke von Liegedreirädern des Modells “Scorpion”. Monteure ziehen Bremsleitungen ein, schneiden Gewinde nach, montieren Federbeine. Weil es kalt ist in der großen Halle, tragen sie Strickmützen und warme Pullover. Nur langsam dreht sich das Montagekarussell, in aller Ruhe füllen sie die Rad-Gerippe mit Leben.

Paul Hollants, dem “H” im Namen von HP Velotechnik, macht der ruhige Takt in der Montage offenbar wenig Sorgen. Gut zwei Jahrzehnte als Liegeradhersteller hinterlassen ihre Gewissheiten: Wenn Europas Radler wieder durch sonniges Grün pfeifen, wird der Blues der Vorsaison schlagartig abbrechen. Dann werden wieder 30 Mitarbeiter durch die luftige 2000-Quadratmeter-Halle wieseln, um die Wünsche der wachsenden Liegerad-Kundschaft zu befriedigen. Stolze 1700 Stück verkauft HP Velotechnik und ist damit nach eigenen Angaben europäischer Marktführer. Und die locker ins Gespräch gestreute Vokabel “Südhalbkugel” war kein Scherz: Ein paar Meter weiter inspiziert Bartosz Gorol den Inhalt eines Riesenkartons, bevor ratschendes Packband ihn verschließt. In ihm ruht ein liebevoll verpacktes “Scorpion”-Liegedreirad, einige tausend Euro teuer und fertig für die Reise nach Japan. Die Firma baut für den Weltmarkt. Die Hälfte der Produktion geht in den Export, bis nach Australien ziehen sich die Vertriebskanäle. Das Liegerad mag hierzulande ein Nischenprodukt sein – für Hollants ist es das zentrale Vehikel seiner Unternehmer-Biografie. Sie begann mit einem guten Freund und dem Werbeaufdruck einer Plastiktüte.

Daniel Pulvermüller ist der Freund und das “P” von HP Velotechnik. Gut vierzig Jahre alt und damit der ältere der beiden Chefs. Sportlich, wenig Haare, verschmitzt. Seinen jetzigen Kompagnon Paul hat er über seine Schwester kennengelernt: “Die hat als Babysitter auf ihn aufgepasst”, erklärt er grinsend, “und jetzt führen wir hier schon fast ne Ehe. Mit dem Paul verbringe ich ja fast mehr Zeit als mit der Familie!” Schuld daran ist ein staubiges rotes Ungetüm, das wenig beachtet in der Werkshalle steht: ein vollverkleidetes Liegedreirad Baujahr 1992, professionell zusammengestümpert aus Stahl und Kunststoff. Es ist das Siegerfahrzeug eines bundesweiten Konstrukteurswettbewerbs, von seinen Erbauern Hollants und Pulvermüller damals als “Nahverkehrsmittel der Zukunft” angepriesen. Eine zivile Version des Rekordfahrzeugs “Vector”, das die beiden schon als Schüler fasziniert hatte: “Wir haben das Teil auf den Plastiktüten eines Reifenherstellers gesehen, der als Sponsor beteiligt war”, sagt Hollants. “Und weil wir als Schüler nicht in der Mofa-Fraktion waren, hat uns das total fasziniert.” Gut 100 Stundenkilometer schnell war diese Pedal-Rakete, das war ein Vielfaches der Mitschüler-Mofas. Und cooler als eine 2-PS-Piaggio sah das Teil ohnehin aus. Das rote Kabinendreirad der beiden Jungtüftler war zwar deutlich langsamer als der Vector, doch es hat sie weit gebracht: Zeitung und Fernsehen berichteten, aus der Garagenwerkstatt wurde eine kleine Firma. Ihr Namen “HP Velotechnik” erinnert nicht zufällig an “HPV”, das Kürzel für “Human Powered Vehicles” – wie eben den Vector von der Plastiktüte.

Der weitere Weg zum Wachstum liest sich linear: Daniel Pulvermüller studiert Maschinenbau, bei Paul Hollants ist es Wirtschaftsingenieurwesen. Beim zwei Jahre älteren Pulvermüller bleibt Zeit für den Abschluss, während der später gestartete Hollants erlebt, wie ihm die Arbeit in der eigenen Firma die Zeit fürs Diplom wegsaugt. “Wenn wir beide ganz normal unser Studium durchgezogen hätten, wären wir vielleicht beim Opel in Rüsselsheim gelandet”, sinniert Hollants. Stattdessen sitzen sie gemeinsam, aber mit verteilten Aufgaben im Chefbüro. “Paul kann sich tatsächlich für Dinge wie Steuerrecht interessieren”, bewundert Pulvermüller seinen Kompagnon – und geht lieber durch eine stählerne Brandschutztür von der Verwaltungsetage in die Prototypenwerkstatt.

Einen eigenen Rahmenbau leistet sich auch HP Velotechnik nicht – wie praktisch die gesamte Radbranche lassen auch die Liegeradbauer in Asien schweißen und fräsen. Doch wie das aussehen muss, was aus dem Container kommt, das geben Daniel Pulvermüller und Kollegen penibel vor. Sie nähen die Muster der textilen Rückenlehnen, drehen 3D-Modelle auf großen Bildschirmen und machen mit knisterndem Lichtbogen Alurohre zu mustergültigen Liegerad-Rahmen. Viele Teile an Sitz- und Liegerädern sind Spezialanfertigungen: Schutzbleche, Federbeine, Sitze, Rahmen – jedes Detail fordert Tüftlergeist. Technisch gibt es viel zu tun, denn elf verschiedene Grundmodelle sind im Programm, und die Kundschaft verlangt immer stärker nach zusätzlicher Motorkraft. Schon ein Viertel der Produktion ist elektrifiziert. Kürzlich haben sie das schärfste Gerät im Stall fertiggestellt, ein vollgefedertes Liegedreirad der offenen Pedelec-Klasse. Man sitzt darin tiefer als in einem Serien-Porsche, der Motor schiebt den Fahrer ruckzuck auf 45 Stundenkilometer an. Hollants und Pulvermüller lieben Räder als muskelgetriebene Fahrzeug, doch spätestens bei diesem Gerät brechen alte Ingenieurs-Leidenschaften wieder auf: Von Reichweite und Aerodynamik ist die Rede, von Radaufhängungen, Drehmomentverläufen, Gokart-Gefühlen und Querlenkern.

Liegeradbau ist Pionierarbeit, auch zwanzig Jahre nach dem prämierten roten Velomobil. Während viele Trekkingräder den muffigen Geruch von Meterware verströmen, herrscht in der Liegerad-Nische bunte technische Vielfalt. “Der Spezialrad-Markt erlaubt es uns, weiter in Kriftel zu produzieren”, erklärt Hollants. “In diesem Segment läuft der Wettbewerb nämlich noch über technische Lösungen statt über Ausstattungslisten. Unsere Räder konkurrieren nicht auf dem Schnäppchenmarkt – in einem reinen Preis-Wettbewerb kann man im teuren Rhein-Main-Gebiet auch kaum bestehen. Aber wir wollen auch nirgends anders hin. Wir sind schließlich Krifteler Buben!”

HP Velotechnik

· 1992 Bundessieg von Paul Hollants und Daniel Pulvermüller beim VDI-Wettbewerb “JUTEC”
· 1993 Firmengründung von HP Velotechnik; Hollants geht noch zur Schule. Fertigung klassischer einspuriger Liegeräder
· 2006 Zusätzlich Aufnahme der Produktion von Liege-Dreirädern (Scorpion-Baureihe)
· 2013 “Eurobike-Awards” für Scorpion-Modelle. Umzug in neues Firmengebäude
· 2014 Bis zu 30 Mitarbeiter entwickeln und fertigen elf Liegeradmodelle. Umsatz: ca. 1700 Stück